Der letzte Sonnenaufgang
Die Geschichte ...
... der Nigerianerinnen Esohe (25), ihrer Schwester Ada (20) und deren Tochter Yola (3), Sona (22) aus Gambia, sowie des Sudanesen Baraka (23)
Flucht in den Tod
Eine Nacht im Juni 2016
Ada hockt inmitten einer Gruppe von Afrikanern auf dem Boden
eines stinkenden, verfallenen Verschlages, nahe der Libyschen Küste. Es ist
Nacht, doch Zeitgefühl hat sie längst verloren. Die junge Nigerianerin ist
dehydriert, verzweifelt und fast am Ende ihrer Kräfte. In den Armen hält sie
die schlafende Yola, ihre geliebte
Tochter.
Dass die beiden es überhaupt bis hierher geschafft haben
verdankt sie dem Geld, das ihr ihre Schwester Esohe für die Flucht geschickt
hat, den Versprechungen der Schlepper, ihrem unbändigen Willen und den verheißungsvollen
Bildern, die sie aus Europa, dem Paradies, gesehen hat. Der Weg bis hierher,
über Berge und durch Wüsten war schrecklich gewesen, begleitet von Hunger,
Gewalt und Entbehrungen. Auf diesem Weg hat sie sich mit Sona, einer jungen Frau aus Gambia angefreundet, die sich ebenso
auf der Flucht befindet. Sona ist nicht nur kräftiger gebaut, sie ist auch in
besserer körperlicher Verfassung und hat Ada schon mehrmals geholfen, als die
junge Nigerianerin kaum mehr weiter konnte.
Doch jetzt sollte alles besser werden, denkt Ada. Ihre
letzten Kräfte müssen reichen. Die Flucht würde bald ein Ende haben.
Esohe schläft in einem Penthouse in London. Sie weiß nicht wo
sich ihre Schwester und Yola derzeit befinden.
Esohe schaffte es vor drei Jahren, mit Hilfe eines
Verwandten, über Umwege nach Deutschland zu kommen. Ein Onkel versprach ihr
Arbeit in seinem Restaurant und ein blühendes Leben. Mit einem Voodoo Fluch
belegt landete sie am zweiten Tag nach ihrer Ankunft in einem Hinterhofbordell.
Ihr Lohn bestand aus einer täglichen Suppe und ausreichend Schlägen. Zusammengepfercht
mit einigen anderen Nigerianerinnen vegetierte sie auf zwanzig Quadratmetern in
einem verdunkelten Raum, bis sie der Onkel weiter verkaufte. Der Käufer fand
keine rechte Freude an ihr, doch erkannte er ein bestimmtes Potential in Esohe,
hübschte die Ware etwas auf und verbrachte sie mit falschen Papieren nach
England. In einer Blitzauktion für menschliches Frischfleisch wurde sie am
Flughafen London Stansted abermals verkauft.
Ihr neuer Besitzer, Gordon, erscheint wie ein biederer,
gutmütiger Engländer, doch seine Kundschaft besteht aus einem Netz von
Liebhabern bizarrer Spiele. Dafür scheint Esohe wie geschaffen, wohnt ab nun in
einem Penthouse, empfängt dort ihre Kundschaft und bekommt sogar Geld für ihre
Dienste. Von diesem Geld schickt sie monatlich einen Teil an Ada nach Nigeria,
für deren kommende Flucht. Seit einigen Wochen konspiriert Esohe mit einem
ihrer Freier, der ihr die große Welt und ein wundervolles Leben an seiner Seite
verspricht. Dass sie in dem Penthouse durch mehrere Kameras, Tag und Nacht von
Gordon überwacht und gefilmt wird, ist ihr nicht bewusst. Ihrem konspirativen
Freier auch nicht. Und dass mit dem bieder wirkenden Gordon nicht zu spaßen
ist, wissen beide nicht.
So schläft nun Esohe einem neuen Tag entgegen und träumt
von der kommenden Flucht aus dem Penthouse.
Baraka döst unruhig, umgeben von hunderten Afrikanern aus allen
Herren Ländern Afrikas, auf dem Oberdeck eines uralten Holzschiffes, der
„Asara“. Langsam tuckert der Seelenverkäufer nordwärts. Seit drei Tagen
befinden sich die Menschen, deren Flucht in einem Ostlibyschen Hafen begonnen
hat, auf See. Baraka schreckt wieder einmal auf und starrt in den sternenklaren
Nachthimmel. Das Holzschiff befindet sich nordöstlich von Kreta und Baraka hört
immer die gleichen Geräusche, die ihm Angst machen. Die dumpfen Geräusche
schallen aus dem Schiffsrumpf und stammen von etwa dreihundert Menschen, die
dort unten als menschlicher Ballast eingesperrt sind. Baraka weiß das alles
sehr genau und er weiß auch, dass diese Menschen keinesfalls nach oben auf das
Deck gelangen dürfen, auf dem ungefähr nochmals die gleiche Anzahl an Menschen
aneinander gepresst, gegenseitig Schutz suchen. Die Zustände auf dem Schiff sind
unbeschreiblich. Es gibt nichts mehr zu essen, kaum etwas zu trinken und es
stinkt außer nach Diesel nach allem, was menschliche Körper nur ausscheiden
können. So sie noch leben. In den letzten zwei Tagen haben sie mindestens
zwanzig Leichen über Bord geworfen. Die Menschen sind einfach an Erschöpfung
gestorben. Wie viele Leichen sich derzeit unten in dem Schiffsrumpf befinden,
weiß keiner. Aber Baraka erahnt es, er ist Schlepper. Genauer gesagt, Baraka
war Schlepper. Jetzt ist er selbst Flüchtling. Auf einem Schrottschiff, dessen
Treibstoff bald aufgebraucht sein wird. Auch das weiß er, als ehemaliger
Schlepper und aus Erfahrung, nur zu genau.
Baraka floh vor dem Bürgerkrieg aus dem Sudan nach Libyen
und schloss sich dort einer Gruppe von Schleppern an. Zuerst taten ihm die
Flüchtlinge leid, doch dieses Gefühl verschwand rasch in dem täglich
herrschenden Chaos vor Ort an der Libyschen Küste. Er war ein Glied in der
Kette einer straff organisierten Hierarchie von Menschenhändlern und er
verdiente viel Geld. Doch Baraka wollte mehr, er wollte nach Europa und dort
noch mehr Geld verdienen. Er wartete auf die richtige Gelegenheit und die
„Asara“ schien ihm diese zu bieten. Als er und andere Schlepper die „Asara“ in
der Nacht mit Menschen vollstopften, nutzte er eine günstige Gelegenheit, holte
sein Geld aus dem Versteck und gelangte in dem allgemeinen Chaos unerkannt auf
das Schiff. Steuermann, Maschinist und Navigator in einer Person war einer der
Flüchtlinge, der für seine Dienste von den Schleppern Fluchtrabatt bekam.
Baraka erkannte jedoch rasch, dass der Steuermann nichts taugte und so
schlingerten sie nun schon seit Tagen nordwärts. Ohne eigentlich zu wissen, wo
sie waren, noch wohin es genau gehen sollte.
Baraka kann im Moment nur beten und auf das Beste hoffen.
Doch die Geräusche aus dem Schiffsrumpf und das ständige Rumoren an Deck,
verheißen nichts Gutes. Baraka döst wieder unruhig weg und träumt von einer
geglückten Flucht.
Ada hört die Männer kommen. Unruhe entsteht in dem Verschlag
und die erwachte Yola klammert sich ängstlich an ihre Mutter. Der letzte Teil
der Flucht steht bevor. Die Schlepper verfrachten die Afrikaner auf Lastautos
und bringen sie zur Küste. Ada hat gehört, dass sie nur noch über das Meer müssten
um in Freiheit empfangen zu werden. Ada weiß aber nicht, was das Meer ist, sie
hat noch nie ein Meer gesehen. Einer der Schlepper bezeichnet das Meer als
breiten Fluss, den sie überqueren müssten. Manche der Flüchtlinge hören gar
nicht zu, andere sehen betreten zu Boden und schweigen. Ada kann das Meer in
der stockdunklen Nacht bereits riechen und dieser Geruch entfaltet neue Kräfte
in ihr. Und dann ist es soweit, mehrere Gruppen zu je einhundert Menschen
werden am Strand von den Schleppern zusammen gestellt. Kommandos hallen durch
die Nacht, Schlauchboote stehen bereit und die Schlepper treiben die Afrikaner
an, die Boote zu besteigen. Ada hebt Yola hoch, die zu weinen beginnt. Sie
müssen durch seichtes Wasser waten und plötzlich hallen verhaltene Schreie
durch die Nacht. Die Schlepper machen letzte Beute, auch bei Ada. Sie fordern
Geld, das Ada längst bezahlt hat. Gegenwehr ist sinnlos, die Männer schlagen
sofort zu. Ein Hüne von einem Mann zerrt Yola von ihrer Mutter und wirft sie
einfach über den Gummiwulst des Schlauchbootes, das bereits fast voll mit
Menschen besetzt ist. Ada spürt den harten Griff des Mannes unter ihren Kaftan.
Die Schlepper wissen, wo sie Beute finden. Mit einem Ruck reißt der Hüne den
Beutel von Adas Körper und drückt sie ins Boot. Ada kann nicht mehr schreien,
ihre Stimme versagt. Sie findet sich neben der weinenden Yola am harten
Holzboden des Schlauchbootes. Im kurzen Schein einer Taschenlampe sieht sie die
mit ihr flüchtenden Männer auf den Gummiwülsten des Bootes sitzen. Ihre Blicke
wirken stumpf, ihre Körper zeigen Anspannung. Zusammengepfercht hocken mehrere
Frauen neben ihr. Sie drückt Yola an sich und ist einer Ohnmacht nahe. Aber sie
muss stark sein. Ihr Ziel scheint nahe, sie muss nur noch über das Meer, das
sie in der dunklen Nacht nicht sehen kann. Doch wo ist Sona? Sie wurden
getrennt. Drei Schlauchboote legen von der Küste ab und steuern in die
Dunkelheit. Ada und Yola befinden sich in dem dritten und letzten Boot. Sona
schafft es in keines der Boote.
Sona ist einem der Menschenhändler besonders aufgefallen. Er
sucht Menschen mit ganz bestimmten Kriterien. Sie dürfen nicht zu ausgemergelt
sein, müssen sich in guter Verfassung befinden, jung sein und alle Geldmittel
aufgebraucht haben. Für die letzte Flucht können sie nicht mehr bezahlen, doch
wertlos sind sie deshalb nicht. Ganz im Gegenteil, mit solchen Menschen kann
man viel Geld verdienen, wie ihm ein ägyptischer Arzt erklärt hat, der genau
solche Menschen sucht. Der Menschenhändler greift sich Sona kurz bevor sie
eines der Schlauchboote besteigen kann. Ein gezielter Schlag streckt Sona zu
Boden. Rasch knebelt und fesselt er die junge Frau, wirft sie sich über die
Schulter und entschwindet in die Nacht mit ihr.
Esohes Schlaf wird unruhig. Irgendein unbestimmtes Gefühl lässt
sie immer wieder aufwachen und nicht wieder richtig einschlafen. Sie denkt an
die letzte Nacht, in der sie über Stunden hinweg die Sklavin eines alten Earls
abgeben musste. Sie denkt an den Freier, der ihr ein wundervolles Leben
versprochen hat und sie denkt an Gordon, der, wie sie glaubt, von all dem
nichts weiß. Kurz huschen Gedanken über Ada und Yola durch ihren Halbschlaf.
Aber die beiden würden noch längere Zeit in Nigeria sein, wie sie glaubt.
Baraka schreckt hoch. Sein Unterbewusstsein meldet eine
Veränderung. In den vergangenen Nächten war es windstill gewesen und die See
ruhig. Jetzt frischt der Wind auf, der Meltemi bläst der „Asara“ entgegen und
noch etwas hat ihn soeben aus dem Schlaf gerissen. Er hört kein Motorengeräusch
mehr. Baraka kämpft sich durch die apathisch wirkenden Menschen zum
Steuerstand. Der Steuermann versucht verzweifelt die Maschine neu zu starten.
Aber es ist zwecklos, der Treibstoff ist aufgebraucht und bereits Luft in den
Leitungen. Diese Dieselmaschine würde sich so nicht wieder starten lassen.
Selbst wenn es noch ein Treibstofffass geben würde, müsste man damit unter Deck
gelangen. Und dazu müsste man die Luken öffnen, unter denen die Menschen als
lebender Ballast eingesperrt sind. Diese Luken zu öffnen ist ebenso unmöglich.
Das weiß Baraka und auch der Steuermann. Mehrere Männer starren zum
Steuerstand. Entsetzen macht sich in den Gesichtern breit. Der Meltemi frischt
auf und die „Asara“ wird manövrierunfähig. Funkgerät befindet sich keines an
Bord. Rettungsmittel auch keine. Diese kosten nur Geld und brauchen Platz. Doch
nur menschliche Fracht bringt Geld und um das geht es und nur darum. Der
Steuermann beginnt zu beten, Baraka überlegt die ausweglose Situation. An
Schlaf ist nicht mehr zu denken und erste Unruhe macht sich auf dem
Seelenverkäufer breit.
Ada und Yola sitzen aneinander gedrückt auf dem Holzboden
des Schlauchbootes. Mit einem kleinen Außenbordmotor untermotorisiert und mit
wenig Treibstoff ausgestattet, gleitet das vollkommen überbelegte Boot durch
die Nacht. Die See ist ruhig, der Himmel sternenklar, die Stimmung der Menschen
gedrückt. Kurze Zeit noch können sie die kleinen weißen Schaumkronen sehen, die
die beiden anderen Boote aufwerfen. Dann verlieren sie sich in der dunklen
Nacht. Ada betet stumm vor sich hin und drückt Yola an sich.
Sonnenaufgang
Baraka starrt zum Horizont. Glutrot steigt die Sonne über dem östlichen
Mittelmeer hoch. Die Unruhe an Bord wird immer spürbarer. Die Menschen ahnen
was auf sie zukommen würde. Die „Asara“ wird zunehmend ein Spielball der
Wellen. Das Balkanhoch lässt den Meltemi nach Sonnenaufgang rasch auffrischen.
Die Wellen werden höher, erste Schaumkronen bilden sich und die „Asara“ treibt
breitseits und manövrierunfähig in den
kurzen, immer höher werdenden Wogen. Seekrankheit greift rasch um sich und die
Geräusche aus dem Inneren des Schiffsrumpfes werden immer heftiger. Ein, zwei
Stunden vergehen noch, bis erste hysterische Schreie über das Deck hallen. Barakas Augen weiten
sich, er möchte noch aufschreien, doch es ist bereits zu spät. Mehrere Männer
reißen die Decksluken auf. Blitzartig beginnt die menschliche Fracht, der
Balast der die „Asara“ noch halbwegs im Gleichgewicht hält, aus dem Schiffrumpf
nach oben auf das bereits überfüllte Deck zu strömen. Das Ende der „Asara“
naht. Tausend Gedanken schießen Baraka durch den Kopf, doch keine Lösung. Der
morsche Holzkahn beginnt immer bedrohlicher zu schwanken. Eine Welle bricht
kurz vor der „Asara“. Baraka möchte noch vom Schiff springen, doch auch dafür
ist es zu spät. Wie eine Zündholzschachtel hebt die Welle die „Asara“ kurz
hoch, um sie im nächsten Moment kentern zu lassen. Menschen werden durch die
Luft gewirbelt, stürzen ins Wasser, manche verhängen sich an Decksaufbauten.
Der Zufall entscheidet, das Schicksal schlägt zu. Baraka gerät direkt unter das
kenternde Schiff. Ein Holzteil trifft seinen Kopf. Die „Asara“ treibt Kiel oben
in den Fluten. Vereinzelt sind kurze Schreie zu hören, die rasch verstummen.
Die Menschen, die sich noch im Schiffsrumpf befinden haben überhaupt keine
Chance, manch andere überleben noch die nächsten Minuten. Der Rumpf läuft voll,
die „Asara“ sinkt rasch tiefer. Die Mehrheit der Menschen kann nicht schwimmen.
Eine kleinere Gruppe treibt stumm und apathisch, verstreut rund um die sinkende
„Asara“, in der Gischt der Wellen.
Ada und Yola befinden sich mehrere hundert Seemeilen
westlich der sinkenden „Asara“ als die Sonne aufgeht. Ruhig und fast friedlich
zieht das Schlauchboot seine Spur nordwärts durch das Mittelmeer. Ada ist
jedoch geschockt, rund um sie herum nur Wasser, bis zum Horizont. So etwas hat
sie noch nie gesehen. Der Fluss muss doch bald überquert sein? Der Himmel ist fast
wolkenlos und blau, doch die Menschen beginnen unter der brennenden Sonne und
Hitze zu leiden. Trinkwasser ist rar. Keiner spricht, angespannt sehen die
Menschen voraus, in der Erwartung bald rettendes Land zu sehen. Doch wo ist
voraus? Die beiden vor ihnen gestarteten Boote sind nicht in Sichtweite. Nur
dort, wo das Voraus zu sein scheint, sind ein paar dünne, bizarr zerrissen
erscheinende Wolken hoch oben am Himmel zu sehen. Aus dem Nichts heraus beginnt
ein Mann zu schreien, springt hoch und hält seine Hände an die Brust. Sein
Schrei geht in ein Röcheln über, er wankt und kippt einfach über die neben ihm
Sitzenden aus dem Schlauchboot. Stumpfe blicke folgen ihm, als er lautlos im
tief blauen Wasser zu versinken beginnt. Der Mann an der Pinne des
Außenbordmotors sieht gar nicht hin. Auch die übrigen Passagiere nehmen es so,
wie es ist. Ada ist entsetzt und Yola blickt ängstlich ihre Mutter an. Eine
Stunde später beginnen zwei Frauen ein Lied zu summen. Es sollte Hoffnung
verheißen. Nach und nach stimmen immer mehr Menschen in das Summen ein.
Esohe steht am Fenster und blickt in den beginnenden Tag
hinaus. Die Sonne sieht sie über London nicht aufgehen, sie ist nur zu erahnen
und spendet Morgenlicht. Das Mädchen hört wie sich die Türe zum Penthouse
öffnet und plötzlich Gordon vor ihr steht. Esohe ist überrascht ihn heute so früh
zu sehen und noch mehr darüber, wie freundlich er mit ihr spricht. Gordon ist
nicht immer so, aber heute? „Honey, heute wird ein besonders schöner Tag!“
Strahlt er sie an, öffnet eine kleine Flasche Champagner und gießt zwei Gläser
voll. Wie immer kann Esohe ihren Besitzer nicht so richtig einschätzen und
sieht bald wieder zum Fenster hinaus, um vielleicht doch noch die Sonne
erkennen zu können. So bemerkt sie nicht, wie Gordon blitzschnell den Inhalt
eines kleinen Fläschchens in ihr Champagnerglas kippt. „Cheers Honey, auf einen
wundervoll schönen Tag für dich!“ Gordon kennt ihre Gewohnheiten genau und
sieht Esohe zu, wie sie ihr Glas mit wenigen Schlucken leert. Es dauert nicht
lange und Esohe verschwimmt alles vor den Augen, leichter Schwindel überkommt
sie und sie ist kaum dazu fähig, zu sprechen. Das ist auch nicht mehr
notwendig. Wie auf einer Wolke schwebend nimmt sie wahr, als Gordon die
Wohnungstüre öffnet und drei Männer das Penthouse betreten. Aus weiter Ferne
hört sie noch Gordons Stimme, bevor er die Wohnung verlässt. „Es wird ein
besonders schöner Tag für dich, Honey!“
Sona erwacht in einem kahlen Raum. Durch eine Glasluke an der
Decke dringt aufgehendes Sonnenlicht.
Sie liegt auf einem Tisch, festgeschnallt mit schmutzigen Lederriemen und ist
immer noch geknebelt. Das Zimmer sieht aus, wie in einem Spital. Im Nebenraum
hört sie verhandelnde Stimmen von mehreren Männern. Es geht um Geld und um
etwas, das Sona nicht verstehen kann. Als sich die Türe öffnet, treten zwei
Männer in weißen Kitteln ein. Der Menschenhändler ist nicht dabei, er hat
seinen Lohn bereits erhalten. Sie verschwenden keinen Blick auf Sonas
angstverzerrtes Gesicht und kommen rasch zur Sache. Die Männer schneiden ihr
die Kleidung vom Körper und zeichnen mit einem Stift Linien auf ihre nackte
Haut. Sona bekommt Panik, doch ihre versuchten Schreie verstummen am Knebel in
ihrem Mund. Einer Ohnmacht nahe muss sie zusehen, wie die beiden Männer scharf
geschliffene Operationsmesser aus einer Metallschale nehmen. Tränen trüben
Sonas Blick und mit aller Gewalt versucht sie ihre Fesseln zu sprengen. Sie hat
keine Chance. Der ägyptische Arzt und sein Helfer schlitzen mit den Skalpellen
Sonas Körper auf und entnehmen lebenswichtige Organe. Rasch, fachgerecht und
skrupellos gehen sie vor. Die Organe verschwinden in vorbereiteten Behältern,
die der Arzt mit sich nimmt. Sona bewegt sich nicht mehr und verblutet auf dem
Tisch. Der Helfer im weißen Kittel benutzt noch einmal das Skalpell und
schneidet ihr mit unbewegtem Gesicht die Kehle durch.
Esohe ist wie betäubt, fast unfähig dazu, sich zu bewegen. Wie
durch einen Nebel hört sie die Stimmen
und das Gelächter der drei Männer, die es nicht eilig haben. Eine Weile spielen
sie noch mit Esohe, dann beginnen sie die Nigerianerin brutal zu vergewaltigen.
Einer nach dem Anderen, später zu zweit und zu dritt. Besonderen Spaß macht es den
Sadisten Esohe so lange zu würgen, bis ihr die Luft weg bleibt und sich alles
in ihrem Körper zusammen zieht. So gehen
Stunden dahin. Esohe bleibt willenlos und röchelt vor sich hin. Irgendwann
gehen zwei der Männer, sie haben genug und keine Lust mehr auf die
Nigerianerin. So war es auch mit Gordon abgesprochen. Der dritte Mann bleibt
noch und richtet sich die erschlaffte Esohe so zurecht, wie er sich das schon
immer vorgestellt hat. Er zelebriert sein Handeln und legt Esohe in die Mitte
des breiten Doppelbettes. Brutal vergeht er sich an ihr, bis er ihr schließlich
stöhnend ein seidenes Halstuch um den Hals schlingt und langsam zuzieht. Esohes
Körper beginnt zu zucken, sie versucht sich unter dem Gewicht des Mannes zu
bewegen und ihr Kopf ruckt hoch. In einem letzten lichten Moment kann sie die in
Ekstase verzerrte Fratze des Mannes im Spiegel, am Kopfende des Bettes,
erkennen. Esohe kann sich nicht mehr wehren, kräftig zieht der Mann das
Halstuch um ihre Kehle zu. Ein paar Momente zappeln und zucken noch ihre Beine.
Das irre Grunzen des Sadisten hinter ihr kann sie nicht mehr hören.
Ada schöpft neue Hoffnung und blickt immer wieder ermutigend
auf die kraftlose Yola. Die brennende, sich im Wasser spiegelnde Sonne, macht
ihnen zu schaffen. Bald würden sie in einer neuen Welt ankommen. Doch das
Mittelmeer ist tückisch. Das Summen der Menschen, das Summen der Hoffnung,
verstummt langsam. Es weicht dem Schrecken. Die Seebriese frischt rasch auf und
mit ihr rollen immer höher werdende Wellen auf das Schlauchboot zu. Noch laufen
die Wogen unter dem Boot durch, doch die Fahrt wird immer langsamer und
beschwerlicher. Es herrscht Mittelmeer Schönwetter, kein Problem für ein
Schiff, eine prickelnde Seefahrt für eine seegängige Yacht. Doch ein sich
anbahnendes, tödliches Problem für dieses überladene Schlauchboot. Die
Flüchtlinge haben keine Erfahrung, sie wissen sich nicht zu helfen und erkennen
das Problem nicht. Das Boot bewegt sich in die Richtung des erhofften
Festlandes und gegen die Wellen, die erste Schaumkronen bilden. Die bizarren,
weißen Wolken am Himmel zerreißen zu dünnen Streifen und leicht stürmische Böen
wehen über das Meer. Erstes Wasser schwappt über den Bug des Bootes und kurze
Schreie ertönen. Ada und Yola sitzen im vorderen Bereich und bekommen das
Salzwasser direkt ab. Das Wasser brennt in den Augen und Yola beginnt zu
weinen. Die Flucht neigt sich dem Ende zu. Eine kurze, steile Welle hebt das
Schlauchboot hoch. Krachend bricht der
Holzboden zum ersten Mal auf, die nächsten Wellen lassen ihn vollständig
zerbersten. Augenblicklich verletzen sich die Menschen die am Boden kauern
schwer. Für Ada und Yola bleibt nicht einmal
Zeit den Schmerz zu fühlen. Bei der nächsten Woge die das Schlauchboot
hoch hebt, werden die Beiden aus dem Boot katapultiert und zum Spielball der
Kräfte. Auch wenn sie schwimmen könnten, würde ihnen das jetzt nichts mehr
nützen. Ein Großteil der Menschen stürzt ins Wasser. Wer noch Kraft hat,
versucht sich an den Wülsten des Schlauchbootes fest zu halten. Doch das ist
aussichtslos. Panisch versucht sich Ada an der Wasseroberfläche zu halten und
schreit noch mehrmals hysterisch nach Yola. Doch die treibt bereits nicht mehr sichtbar
im nächsten Wellental und Ada verlassen die letzen Kräfte. Noch einmal blickt
sie in die grelle Sonne, sie kann ihr Schicksal nicht fassen. Dann schlägt die
nächste Welle erbarmungslos über ihr zusammen.
Der Tag neigt sich dem Ende zu
Am Nachmittag findet die Griechische Küstenwache, nach
Information durch ein Handelsschiff, die „Asara“ Kiel oben treibend. Eine
Luftblase im Inneren lässt gerade noch den Bug aus dem Wasser schauen.
Überlebende gibt es keine. Im Verlauf einer Suchaktion birgt die Marine mehrere
Leichen. Baraka wird nicht gefunden.
Das Meer hat ihn für immer verschlungen.
Der ausgeweidete Körper von Sona wird in einem schmutzigen Straßengraben am Rande einer
Libyschen Küstenstadt entsorgt und verkommt zum Futter der Tiere. Den Rest erledigt
die Sonne des nächsten Tages.
Ein Räumkommando von Pakistanischen Tagelöhnern der
besonderen Art, schafft die Leiche von Esohe
aus dem Londoner Penthouse. Sie endet im Kofferraum eines Kleinwagens in der
Schrottpresse einer PKW Verschrottung im Süden von London. Keine Spur wird
jemals mehr zu ihr führen.
Am Nachmittag findet das Rettungsschiff einer privaten
Hilfsorganisation zwei Schlauchboote im westlichen Mittelmeer mit mehreren
Überlebenden. Nach deren Auskunft sollte es noch ein drittes Boot geben. Auch
dieses finden die Retter. Das Schlauchboot tanzt menschenleer auf den Wellen als
düsteres Geisterschiff im Sonnenuntergang. Im Umkreis findet die Mannschaft
mehrere Leichen an der Wasseroberfläche treibend. In Absprache mit der Italienischen
Marine befestigen die Retter an einem Bein jedes Ertrunkenen eine Schwimmweste,
damit die Toten nicht unter gehen. Noch bevor die Sonne ganz am Horizont
verschwindet, kommt ein Italienisches Marineschiff zur Fundstelle und sammelt
die Leichen mit einem großen Netz, ähnlich einem Fischernetz, ein. Sie sollen
auf jenem Festland begraben werden, wohin sie flüchten wollten. Auch Ada befindet sich in dem Netz. Ihre
Tochter Yola wird nicht gefunden.
Das Mittelmeer bleibt ihr nasses Grab.
Bei Sonnenaufgang hatten sie noch Hoffnung, doch es wurde
für alle eine Flucht in den Tod.
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